Eine kritische Auseinandersetzung in der aktuellen Diskussion.

Künstliche Intelligenz – Wo stehen wir?

06.08.2024 - Christoph Haß

Wenn man derzeit auf (Digital-) Konferenzen unterwegs ist, Artikel in Wirtschaftszeitungen liest oder sich allgemein mit Innovation & Digitalisierung beschäftigt, stößt man fast sofort auf Künstliche Intelligenz. Das absolute Top-Thema und mittlerweile spricht fast jedes Start-up von eigenen KI-Anwendungen und deren Nutzen.

Im folgenden Artikel wollen wir uns näher mit dem Thema beschäftigen und der Frage nachgehen, ob der Hype um KI gerechtfertigt ist oder ob ein böses Erwachen droht.  

Der Blick auf die Kapitalmärkte und Finanzierungsrunden 

Ein Blick auf die Börsen, insbesondere in den USA, zeigt, dass KI die Kurse nach oben treibt und parallel dazu die Bewertungen von KI-Start-ups immer weiter steigen. Allerdings fragen sich immer mehr Analysten und Investoren, ob es sich bei den Märkten nicht um eine Blase handelt, die zu platzen droht (Ende Juli / Anfang August 2024 kam es bereits zu größeren Abwertungen an den Börsen). Die folgenden drei Diskussionsbeispiele zeigen auf, dass die Risiken greifbar sind: 

Beispiel 1: Scale AI aus San Francisco. 

Die Firma des 27-jährigen Mathematik-Genies Alexandr Wang wird nach einer Finanzierungsrunde von einer Milliarde Dollar mit 13,8 Milliarden Dollar bewertet – und das, obwohl Scale AI keine erfolgversprechenden KI-Modelle entwickelt, sondern vor allem Menschen beschäftigt, die die Antworten anderer Modelle validieren. 

Beispiel 2: Aleph Alpha aus Deutschland

Im Jahr 2023 wurde Aleph Alpha als die große KI-Antwort aus Deutschland gefeiert und sammelte nach damaligen Berichten 500 Millionen Euro von deutschen Top-Unternehmen ein. Mitte 2024 gibt es nun viele Berichte, dass die KI-Modelle von Aleph Alpha nicht mit den großen Modellen von OpenAI, Gemini oder auch Mistral aus Frankreich mithalten können. Auch die Finanzierungsrunde wird infrage gestellt und viele Manager verlassen derzeit das Unternehmen. 

Beispiel 3: Rückflüsse aus KI-Investitionen

Der Partner David Cahn vom Risikokapitalgeber Sequoia vergleicht in einem aktuellen Report am Beispiel von Nvidia die Umsatzprognose für 2024 mit den geschätzten Kosten für den Bau von Rechenzentren und der Marge der Softwareanbieter. Insgesamt kommt Cahn auf einen Umsatz von 600 Milliarden Dollar pro Jahr, den die Tech-Konzerne mit KI-Dienstleistungen erwirtschaften müssten, um ihre Hardware-Ausgaben gegenzufinanzieren. Gleichzeitig kommt er selbst bei extrem optimistischen Berechnungen nur auf ein Umsatzpotenzial für KI-Dienstleistungen von maximal 100 Milliarden Dollar, sodass eine Lücke von 500 Milliarden Dollar klafft. 

Diese Beispiele zeigen, dass auf den KI-Märkten durchaus die Gefahr einer Blasenbildung besteht (Bildquelle: Sequoia Capital; 2024).

Doch wie sieht es in der Praxis aus? Wie arbeiten heute schon Unternehmen mit KI im täglichen Umgang, speziell im industriellen Mittelstand? 

Schaut man sich mittelständische Industrieunternehmen wie die Possehl Gruppe an, so stellt man ein hohes Maß an Interesse und Neugier fest. Wie immer gibt es auch hier einige Vorreiter, die viel ausprobieren. Die folgenden Beispiele zeigen, wo KI u.a bereits eingesetzt wird. Ein Auszug:  

  • Insgesamt besteht eine große Neugierde und Interesse an den Potenzialen der KI im Arbeitsalltag. 
  • Die Verteilung der Personen (sehr interessiert bis sehr zurückhaltend) kann mit einer Normalverteilung verglichen werden. 
  • Gerade ChatGPT von OpenAI oder Azure AI wird häufig genutzt. Es wird vor allem für Recherchen, Zusammenfassungen von Texten oder im Marketing eingesetzt.  
  • In wichtigen Unternehmensprozessen werden derzeit vor allem Use Cases gesucht und erste Anwendungen mit KI optimiert. 
  • Dabei steht das Thema Prozessoptimierung im Vordergrund – beispielsweise werden wissensbasierte Prozesse automatisiert und damit Effizienzen gehoben. 
  • Darüber hinaus entstehen in vielen Unternehmensbereichen individuelle Chatbots, die den Mitarbeitenden den Arbeitsalltag erleichtern sollen. Zum Beispiel Bots im Service, im Vertrieb, im Wissensmanagement oder auch im Bereich Finance & Accounting, um z.B. durch KI besser im Financial Reasoning zu werden. 

Wenn wir in die Hauptwertschöpfung, also z.B. in die Produktion in Unternehmen schauen, dann gibt es natürlich weitere Potenziale wie z.B.

 

  • Qualitätskontrolle: Automatische Fehlererkennung und präventive Maßnahmen verbessern die Produktqualität. 
  • IIoT & Predictive Maintenance: Sensordaten analysieren und Wartungsbedarf vorhersagen, um Ausfallzeiten zu reduzieren. 
  • Supply Chain Management: Optimierung von Lagerbeständen und Logistikprozessen durch Nachfrageprognosen. 
  • Energieeffizienz: Überwachung und Optimierung des Energieverbrauchs von Maschinen. 
  • Produktionsplanung: Echtzeit-Anpassung von Produktionsplänen für mehr Flexibilität. 

Die Umsetzung in der täglichen Praxis sehen wir jedoch noch nicht. Viele, vor allem kleinere mittelständische Industrieunternehmen sind derzeit dabei, die Grundlagen zu schaffen, damit KI überhaupt eingesetzt werden kann. Also Prozesse & Papier zu digitalisieren, Daten erfassbar und auswertbar zu machen sowie entsprechende Systeme einzuführen, damit auf dieser Basis KI implementiert werden kann. 

Eine weitere aktuelle Herausforderung bei der Umsetzung der ersten KI Use Cases ist das Thema Halluzination. Wir stellen fest, dass es bei KI-Modellen in der Praxis schnell zu Halluzinationen kommen kann. Gründe hierfür können speziell in der Praxis das Thema Datenqualität (unvollständige oder fehlerhafte Trainingsdaten), Datenverfügbarkeit (zu wenige Daten sind verfügbar) oder auch die Komplexität des Use Cases sowie die Modellarchitektur (komplexe Modelle erfinden Muster, um Eingaben konsistent zu halten) sein. 

Was kann aus diesen Erläuterungen folgen?

  • KI als Technologie hat weiterhin das Potenzial alles zu verändern bzw. hat es in Teilen bereits getan – Unternehmen, Berufsbilder und vieles mehr werden sich radikal und auch positiv verändern.  
  • Unternehmen, insbesondere KMUs, sollten sich mit den Möglichkeiten auf Basis von KI auseinandersetzen und an der Umsetzung von Use Cases dranbleiben.  
  • Dabei lieber 2–3 Use Cases schrittweise und fokussiert umsetzen, als zu viel anzufangen und nicht erfolgreich zu beenden. 
  • Entscheidend ist auch, strukturiert vorzugehen und zu prüfen, welche Use Cases sinnvoll sind, was es dafür am Markt an Anbietern gibt und dann zu schauen, wie hoch der Schwierigkeitsgrad der Umsetzung und der potenzielle Erfolg sein kann. 
  • Mit Blick auf die Kapitalmärkte und großen Investitionen sollte man sich genau überlegen, wo man sich selbst engagiert und wo man lieber die Finger von lässt. Beispielsweise ist die Entwicklung eigener KI-Modelle mit gigantischen Investitionen verbunden und jeder sollte sich überlegen, ob er hier im globalen Wettbewerb eine Chance hat. 
  • Bei den Finanzierungsrunden werden wir in den nächsten Monaten sicherlich noch einige Verwerfungen sehen. Viele KI-Startups wurden sehr hoch bewertet und man sieht schon jetzt an Beispielen wie Aleph Alpha, dass die hohen Erwartungen oft nicht erfüllt werden können. Dementsprechend vorsichtig sollten Unternehmen agieren, wenn sie überlegen, selbst in diesem Bereich zu investieren. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Potenzial sehr groß ist und sich Unternehmen nicht von Rückschlägen in der Umsetzung entmutigen lassen sollten. Allerdings ist es auch wichtig, mit Bedacht an den Einsatz von KI heranzugehen. Nicht überall braucht man KI und nicht in jeder Software oder in jedem Prozess, wo KI draufsteht, ist auch KI drin. Mit Blick auf die Kapitalmärkte sollte man genau hinschauen, wo es Bewertungsblasen gibt und wo der Hype um KI zu Risiken führen kann.

Das Wichtigste ist jedoch, am Ball zu bleiben und sich als Unternehmen nicht entmutigen zu lassen. Der Erfolg durch den Einsatz von KI wird kommen und Unternehmen sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter positiv verändern. Wer die Chancen nutzt, wird Wettbewerbsvorteile im globalen Wettbewerb haben.